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Grimms Märchen (Teil 1)
Inhaltsverzeichnis
1.
Allerleirauh
2.
Die Alte im Wald
3.
Das alte Mütterchen
4.
Die zwölf Apostel
5.
Der arme Junge im Grab
6.
Der Arme und der Reiche
7.
Aschenputtel
8.
Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
9.
Der Bärenhäuter
10.
Der Bauer und der Teufel
11.
Die kluge Bauerntochter
12.
Das blaue Licht
13.
Die Boten des Todes
14.
Die weiße und die schwarze Braut
15.
Die Brautschau
16.
Der süße Brei
17.
Brüderchen und Schwesterchen
18.
Das Bürle
19.
Daumesdick
20.
Die Eule
21.
Die ungleichen Kinder Evas
22.
Die Goldkinder
23.
Gottes Speise
24.
Der Grabhügel
25.
Die vier kunstreichen Brüder
26.
Läuschen und Flöhchen
27.
Die Lebenszeit
28.
Die klugen Leute
29.
Lieb und Leid teilen
30.
Bruder Lustig
31.
Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst
32.
Jungfrau Maleen
33.
Marienkind
34.
Meister Pfriem
35.
Die Nelke
36.
Die Nixe im Teich
37.
Der Mond
38.
Das Wasser des Lebens
39.
Die Wassernixe
40.
Die Wichtelmänner
41.
Der Wolf und der Fuchs
42.
Der Wolf und der Mensch
43.
Der Zaunkönig und der Bär
44.
Die drei grünen Zweige
45.
Die zwölf Brüder
46.
Strohhalm, Kohle und Bohne
47.
Die Stiefel von Büffelleder
48.
Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack
Herausgegeben vom Palmtop & Smartphone Magazin.
Copyright der Konvertierung: Rainer Gievers
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Allerleirauh
Es war einmal ein König, der hatte eine Frau mit goldenen Haaren, und sie war so schön,
daß sich ihresgleichen nicht mehr auf Erden fand. Es geschah, daß sie krank lag, und als
sie fühlte, daß sie bald sterben würde, rief sie den König und sprach 'wenn du nach
meinem Tode dich wieder vermählen willst, so nimm keine, die nicht ebenso schön ist,
als ich bin und die nicht solche goldene Haare hat, wie ich habe, das mußt du mir
versprechen.' Nachdem es ihr der König versprochen hatte, tat sie die Augen zu und
starb.
Der König war lange Zeit nicht zu trösten und dachte nicht daran, eine zweite Frau zu
nehmen. Endlich sprachen seine Räte, 'es geht nicht anders, der König muß sich wieder
vermählen, damit wir eine Königin haben.' Nun wurden Boten weit und breit
umhergeschickt, eine Braut zu suchen, die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz
gleichkäme. Es war aber keine in der ganzen Welt zu finden, und wenn man sie auch
gefunden hätte, so war doch keine da, die solche goldene Haare gehabt hätte. Also kamen
die Boten unverrichteter Sache wieder heim.
Nun hatte der König eine Tochter, die war gerade so schön wie ihre verstorbene Mutter,
und hatte auch solche goldene Haare. Als sie herangewachsen war, sah sie der König
einmal an und sah, daß sie in allem seiner verstorbenen Gemahlin ähnlich war, und fühlte
plötzlich eine heftige Liebe zu ihr. Da sprach er zu seinen Räten, 'ich will meine Tochter
heiraten, denn sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen Frau, und sonst kann ich doch
keine Braut finden, die ihr gleicht.' Als die Räte das hörten, erschraken sie und sprachen,
'Gott hat verboten, daß der Vater seine Tochter heirate, aus der Sünde kann nichts Gutes
entspringen, und das Reich wird mit ins Verderben gezogen.' Die Tochter erschrak noch
mehr, als sie den Entschluß ihres Vaters vernahm, hoffte aber, ihn von seinem Vorhaben
noch abzubringen. Da sagte sie zu ihm, 'eh ich Euren Wunsch erfülle, muß ich erst drei
Kleider haben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so
glänzend wie die Sterne; ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Pelz und
Rauhwerk zusammengesetzt, und ein jedes Tier in Eurem Reich muß ein Stück von
seiner Haut dazu geben.' Sie dachte aber, 'das anzuschaffen ist ganz unmöglich, und ich
bringe damit meinen Vater von seinen bösen Gedanken ab.' Der König ließ aber nicht ab,
und die geschicktesten Jungfrauen in seinem Reiche mußten die drei Kleider weben, eins
so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glänzend wie die
Sterne; und seine Jäger mußten alle Tiere im ganzen Reiche auffangen und ihnen ein
Stück von ihrer Haut abziehen; daraus ward ein Mantel von tausenderlei Rauhwerk
gemacht. Endlich, als alles fertig war, ließ der König den Mantel herbeiholen, breitete ihn
vor ihr aus und sprach 'morgen soll die Hochzeit sein.'
Als nun die Königstochter sah, daß keine Hoffnung mehr war, ihres Vaters Herz
umzuwenden, so faßte sie den Entschluß zu entfliehen. In der Nacht, während alles
schlief, stand sie auf und nahm von ihren Kostbarkeiten dreierlei, einen goldenen Ring,
ein goldenes Spinnrädchen und ein goldenes Hastelchen; die drei Kleider von Sonne,
Mond und Sternen tat sie in eine Nußschale, zog den Mantel von allerlei Rauhwerk an
und machte sich Gesicht und Hände mit Ruß schwarz. Dann befahl sie sich Gott und ging
fort, und ging die ganze Nacht, bis sie in einen großen Wald kam. Und weil sie müde
war, setzte sie sich in einen hohlen Baum und schlief ein.
Die Sonne ging auf, und sie schlief fort und schlief noch immer, als es schon hoher Tag
war. Da trug es sich zu, daß der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine
Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen rings herum und bellten. Sprach der
König zu den Jägern 'seht doch, was dort für ein Wild sich versteckt hat.' Die Jäger
folgten dem Befehl, und als sie wiederkamen, sprachen sie 'in dem hohlen Baum liegt ein
wunderliches Tier, wie wir noch niemals eins gesehen haben: an seiner Haut ist
tausenderlei Pelz; es liegt aber und schläft.' Sprach der König 'seht zu, ob ihrs lebendig
fangen könnt, dann bindets auf den Wagen und nehmts mit.' Als die Jäger das Mädchen
anfaßten, erwachte es voll Schrecken und rief ihnen zu 'ich bin ein armes Kind, von Vater
und Mutter verlassen, erbarmt euch mein und nehmt mich mit.' Da sprachen sie
'Allerleirauh
, du bist gut für die Küche, komm nur mit, da kannst du die Asche
zusammenkehren.' Also setzten sie es auf den Wagen und fuhren heim in das königliche
Schloß. Dort wiesen sie ihm ein Ställchen an unter der Treppe, wo kein Tageslicht
hinkam, und sagten 'Rauhtierchen, da kannst du wohnen und schlafen.' Dann ward es in
die Küche geschickt, da trug es Holz und Wasser, schürte das Feuer, rupfte das
Federvieh, belas das Gemüs, kehrte die Asche und tat alle schlechte Arbeit.
Da lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach, du schöne Königstochter, wie solls
mit dir noch werden! Es geschah aber einmal, daß ein Fest im Schloß gefeiert ward, da
sprach sie zum Koch 'darf ich ein wenig hinaufgehen und zusehen? ich will mich außen
vor die Türe stellen.' Antwortete der Koch 'ja, geh nur hin, aber in einer halben Stunde
mußt du wieder hier sein und die Asche zusammentragen.' Da nahm sie ihr Öllämpchen,
ging in ihr Ställchen, zog den Pelzrock aus und wusch sich den Ruß von dem Gesicht und
den Händen ab, so daß ihre volle Schönheit wieder an den Tag kam. Dann machte sie die
Nuß auf und holte ihr Kleid hervor, das wie die Sonne glänzte. Und wie das geschehen
war, ging sie hinauf zum Fest, und alle traten ihr aus dem Weg, denn niemand kannte sie,
und meinten nicht anders, als daß es eine Königstochter wäre. Der König aber kam ihr
entgegen, reichte ihr die Hand und tanzte mit ihr, und dachte in seinem Herzen 'so schön
haben meine Augen noch keine gesehen.' Als der Tanz zu Ende war, verneigte sie sich,
und wie sich der König umsah, war sie verschwunden, und niemand wußte, wohin. Die
Wächter, die vor dem Schlosse standen, wurden gerufen und ausgefragt, aber niemand
hatte sie erblickt.
Sie war aber in ihr Ställchen gelaufen, hatte geschwind ihr Kleid ausgezogen, Gesicht
und Hände schwarz gemacht und den Pelzmantel umgetan, und war wieder Allerleirauh.
Als sie nun in die Küche kam und an ihre Arbeit gehen und die Asche zusammenkehren
wollte, sprach der Koch 'laß das gut sein bis morgen und koche mir da die Suppe für den
König, ich will auch einmal ein bißchen oben zugucken, aber laß mir kein Haar
hineinfallen, sonst kriegst du in Zukunft nichts mehr zu essen.' Da ging der Koch fort,
und Allerleirauh kochte die Suppe für den König, und kochte eine Brotsuppe, so gut es
konnte, und wie sie fertig war, holte es in dem Ställchen seinen goldenen Ring und legte
ihn in die Schüssel, in welche die Suppe angerichtet ward. Als der Tanz zu Ende war, ließ
sich der König die Suppe bringen und aß sie, und sie schmeckte ihm so gut, daß er
meinte, niemals eine bessere Suppe gegessen zu haben. Wie er aber auf den Grund kam,
sah er da einen goldenen Ring liegen und konnte nicht begreifen, wie er dahin geraten
war. Da befahl er, der Koch sollte vor ihn kommen. Der Koch erschrak, wie er den
Befehl hörte, und sprach zu Allerleirauh 'gewiß hast du ein Haar in die Suppe fallen
lassen; wenns wahr ist, so kriegst du Schläge.' Als er vor den König kam, fragte dieser,
wer die Suppe gekocht hätte. Antwortete der Koch 'ich habe sie gekocht.' Der König aber
sprach 'das ist nicht wahr, denn sie war auf andere Art und viel besser gekocht als sonst.'
Antwortete er 'ich muß es gestehen, daß ich sie nicht gekocht habe, sondern das
Rauhtierchen.' Sprach der König 'geh und laß es heraufkommen.'
Als Allerleirauh kam, fragte der König 'wer bist du?' 'Ich bin ein armes Kind, das keinen
Vater und Mutter mehr hat.' Fragte er weiter 'wozu bist du in meinem Schloß?'
Antwortete es 'ich bin zu nichts gut, als daß mir die Stiefeln um den Kopf geworfen
werden.' Fragte er weiter 'wo hast du den Ring her, der in der Suppe war?, Antwortete es
'von dem Ring weiß ich nichts.' Also konnte der König nichts erfahren und mußte es
wieder fortschicken.
Ãœber eine Zeit war wieder ein Fest, da bat Allerleirauh den Koch wie vorigesmal um
Erlaubnis, zusehen zu dürfen. Antwortete er 'ja, aber komm in einer halben Stunde
wieder und koch dem König die Brotsuppe, die er so gerne ißt.' Da lief es in sein
Ställchen, wusch sich geschwind und nahm aus der Nuß das Kleid, das so silbern war wie
der Mond, und tat es an. Dann ging es hinauf, und glich einer Königstochter: und der
König trat ihr entgegen und freute sich, daß er sie wiedersah, und weil eben der Tanz
anhub, so tanzten sie zusammen. Als aber der Tanz zu Ende war, verschwand sie wieder
so schnell, daß der König nicht bemerken konnte, wo sie hinging. Sie sprang aber in ihr
Ställchen, und machte sich wieder zum Rauhtierchen, und ging in die Küche, die
Brotsuppe zu kochen. Als der Koch oben war, holte es das goldene Spinnrad und tat es in
die Schüssel, so daß die Suppe darüber angerichtet wurde. Danach ward sie dem König
gebracht, der aß sie, und sie schmeckte ihm so gut wie das vorigemal, und ließ den Koch
kommen, der mußte auch diesmal gestehen, daß Allerleirauh die Suppe gekocht hätte.
Allerleirauh kam da wieder vor den König, aber sie antwortete, daß sie nur dazu da wäre,
daß ihr die Stiefeln an den Kopf geworfen würden und daß sie von dem goldenen
Spinnrädchen gar nichts wüßte.
Als der König zum drittenmal ein Fest anstellte, da ging es nicht anders als die
vorigemale. Der Koch sprach zwar 'du bist eine Hexe, Rauhtierchen, und tust immer
etwas in die Suppe, davon sie so gut wird, und dem König besser schmeckt, als was ich
koche; doch weil es so bat, so ließ er es auf die bestimmte Zeit hingehen. Nun zog es ein
Kleid an, das wie die Sterne glänzte, und trat damit in den Saal. Der König tanzte wieder
mit der schönen Jungfrau und meinte, daß sie noch niemals so schön gewesen wäre. Und
während er tanzte, steckte er ihr, ohne daß sie es merkte, einen goldenen Ring an den
Finger, und hatte befohlen, daß der Tanz recht lang währen sollte. Wie er zu Ende war,
wollte er sie an den Händen festhalten, aber sie riß sich los und sprang so geschwind
unter die Leute, daß sie vor seinen Augen verschwand. Sie lief, was sie konnte, in ihr
Ställchen unter der Treppe, weil sie aber zu lange und über eine halbe Stunde geblieben
war, so konnte sie das schöne Kleid nicht ausziehen, sondern warf nur den Mantel von
Pelz darüber, und in der Eile machte sie sich auch nicht ganz rußig, sondern ein Finger
blieb weiß. Allerleirauh lief nun in die Küche, kochte dem König die Brotsuppe und
legte, wie der Koch fort war, den goldenen Haspel hinein. Der König, als er den Haspel
auf dem Grunde fand, ließ Allerleirauh rufen: da erblickte er den weißen Finger und sah
den Ring, den er im Tanze ihr angesteckt hatte. Da ergriff er sie an der Hand und hielt sie
fest, und als sie sich losmachen und fortspringen wollte, tat sich der Pelzmantel ein wenig
auf, und das Sternenkleid schimmerte hervor. Der König faßte den Mantel und riß ihn ab.
Da kamen die goldenen Haare hervor und sie stand da in voller Pracht und konnte sich
nicht länger verbergen. Und als sie Ruß und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, da
war sie schöner, als man noch jemand auf Erde n gesehen hatte. Der König aber sprach
'du bist meine liebe Braut, und wir scheiden nimmermehr voneinander. Darauf ward die
Hochzeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.
Die Alte im Wald
Es fuhr einmal ein armes Dienstmädchen mit seiner Herrschaft durch einen großen Wald,
und als sie mitten darin waren, kamen Räuber aus dem Dickicht hervor und ermordeten,
wen sie fanden. Da kamen alle miteinander um, bis auf das Mädchen, das war in der
Angst aus dem Wagen gesprungen und hatte sich hinter einen Baum verborgen. Wie die
Räuber mit ihrer Beute fort waren, trat es herbei und sah das große Unglück. Da fing es
an bitterlich zu weinen und sagte 'was soll ich armes Mädchen nun anfangen, ich weiß
mich nicht aus dem Wald herauszufinden, keine Menschenseele wohnt darin, so muß ich
gewiß verhungern.' Es ging herum, suchte einen Weg, konnte aber keinen finden. Als es
Abend war, setzte es sich unter einen Baum, befahl sich Gott, und wollte da sitzen
bleiben und nicht weggehen, möchte geschehen, was immer wollte. Als es aber eine
Weile da gesessen hatte, kam ein weiß Täubchen zu ihm geflogen und hatte ein kleines
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